Stellt euch vor, ihr würdet plötzlich nach Finnland, Schweden oder Spanien auswandern. Die Menschen dort sprechen eine andere Sprache, sie hören wahrscheinlich andere Musik als ihr und haben einen anderen Kleidungsstil. Es gibt andere Gerichte, Sportarten und Umgangsformen. Es wäre eine ziemliche Umstellung für euch, euch dort einzuleben und wohlzufühlen. Was für eine Herausforderung wäre es erst, wenn ihr in einen komplett anderen Kulturkreis, z.B. in ein asiatisches oder arabisches Land umsiedeln würdet!

So geht es vielen junge Menschen, die allein oder mit ihrer Familie ihre Heimat verlassen und in ein Land der Europäischen Union migrieren. Die Gründe sind vielfältig, zum Beispiel Krieg oder politische Verfolgung, Familienzusammenführung oder die Hoffnung auf eine bessere Lebensperspektive.

Wie kann diesen jungen Neuankömmlingen das Einleben und die Teilhabe im Ankunftsland erleichtert werden? Um die Entwicklung neuer Ansätze zu dieser Aufgabe geht es im europäischen Erasmusprojekt „EQUITY“. Seit 2020 nehmen wir – eine Gruppe von vier Lehrkräften aus den Internationalen Klassen an diesem Projekt teil. Unsere EQUITY Partner kommen aus Italien, Frankreich, Schweden, Finnland und Spanien.

Gemeinsam haben wir überlegt, was uns am meisten helfen würde, wenn wir an der Stelle unserer internationalen Schüler*innen wären. Und uns wurde schnell klar, dass Kommunikation eines der wichtigsten „Werkzeuge“ ist, sich in einer neuen Welt zurechtzufinden. Dabei ist Kommunikation viel mehr, als nur eine neue Sprache zu erlernen. Die „gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall Rosenberg geht davon aus, dass alle Menschen auf dieser Welt dieselben Bedürfnisse haben, wie z.B. Entspannung, Lernen,; Mitbestimmung oder Gemeinschaft.

Mit welchen Strategien sich die Menschen, diese Bedürfnisse dann erfüllen, kann sehr unterschiedlich sein. Für die einen erfüllt sich „Gemeinschaft“ durch den Kneipenbesuch mit Freundinnen und Freunden, für die anderen durch die Gemeinschaft in einer Kirchengruppe.

Eine Verbindung zwischen den Menschen entsteht, wenn wir die Bedürfnisse bei uns und anderen erkennen. Dann ist es möglich andere zu verstehen, auch wenn wir mit den Strategien nicht einverstanden sind. Bei gemeinsamen Entscheidungen ist es dann meist viel einfacher, eine gute Lösung für alle zu finden.

Und so haben wir eine Unterrichtsreihe entwickelt und in den internationalen Klassen durchgeführt, in der wir die gewaltfreie Kommunikation von Rosenberg eingeführt haben. Mit verschiedenen Spielen, Partner- und Gruppenarbeiten, Arbeitsblättern und kreativen Methoden ging es unter anderem um diese Fragen: „Was ist der Unterschied zwischen Bewertung und Beobachtung?“ „Welche Gefühle gibt es und was verursacht sie?“ „Was ist der Unterschied zwischen einem Bedürfnis und einer Strategie?“ „Wie kann ich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass andere mit mir kooperieren?“
Hier einige Aussagen von Schüler*innen der Klasse:

Wenn ich jetzt durch die Stadt gehe, dann schaue ich viel genauer die Leute an und überlege, was sie fühlen. Das kann ich jetzt auch besser erkennen und vor allem kenne ich jetzt die Wörter für die verschiedenen Gefühle auf Deutsch.“

Ich verstehe jetzt besser, dass es einen guten Grund gibt, warum jemand etwas macht, was mir vielleicht nicht gefällt.“

Hier in Deutschland kann ich machen, was ich möchte: Ich lerne; ich esse, was ich möchte; ich gehe, wohin ich möchte. Das bedeutet für mich Selbstbestimmung.“

Jetzt sind wir sehr gespannt auf unseren Projekttag zur wertschätzenden Kommunikation am 8 Mai, den eine unserer Equity Partnerinnen durchführen wird. An diesem Tag setzt sich die Klasse mit realen Konfliktsituationen im beruflichen Bereich auseinander und erprobt mit verschiedenen Theatermethoden die Wirkung der gewaltfreie Kommunikation.

Hedwig van Lessen